Wir alle sind verschieden und unser Beziehungsverhalten ist Teil dieser Individualität.
Eine Sache, die ich an meiner Arbeit schon immer wahnsinnig spannend gefunden habe, ist, wie unterschiedlich sich Menschen in Beziehungen verhalten. Wie verschieden unsere Erwartungen und Vorstellung von Beziehung sind – und wie viele Beziehungen genau an dieser Unterschiedlichkeit letztendlich scheitern.
Ich bin nicht die erste Psychologin, die nach einer Erklärung für diese Unterschiede gesucht hat und es ist mein Glück, dass der Grundstein dieses Forschungsbereichs schon lange vor mir gelegt wurde. Denn dadurch kann ich dieses Wissen heute für mich nutzen und darf es weitergeben, um vielleicht auch euch dadurch zu mehr Verständnis für euer Verhalten & Empfinden zu verhelfen.
Ein wichtiger Aspekt (und möglicher Unterschied) in unserem Beziehungsverhalten ist der sogenannte Bindungsstil, da er die Art und Weise bestimmt, wie wir mit anderen in Beziehung gehen und unsere Beziehungen gestalten. Mehr dazu will ich euch in diesem Blog Artikel erzählen.
Inhalt
Die Bindungstheorie
Die Bindungstheorie (englisch theory of attachment) fasst Erkenntnisse aus Entwicklungspsychologie und Bindungsforschung zusammen, die unter anderem belegen, dass Menschen ein angeborenes Bedürfnis haben, enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu Mitmenschen aufzubauen. Geprägt wurde diese Konzeption wurde von dem britischen Psychoanalytiker und Kinderpsychiater John Bowlby, dem schottischen Psychoanalytiker James Robertson und der US-amerikanisch-kanadischen Psychologin Mary Ainsworth.
Bindung (englisch attachment) ist die Bezeichnung für eine enge emotionale Beziehung zwischen Menschen. Ein Kind entwickelt eine spezielle Bindung zu seinen Eltern oder anderen wichtigen Bezugspersonen. Diese veranlasst das Kind, bei Gefühlen wie Bedrohung, Angst, oder Schmerz bei seinen Bezugspersonen Schutz und Beruhigung zu suchen und zu erhalten. Das Verhalten der Bindungspersonen und die Art, wie wir in den ersten Lebensjahren Zuwendung erfahren, prägt dann u.a. unser Bedürfnis nach Nähe und Distanz in Beziehungen.
Unsere kindliche Bindung wirkt auch noch im Erwachsenenalter weiter, denn unser Bindungsstil beeinflusst, wie wir unsere Beziehungen (er-)leben. Was wir als Kinder in der Bindung zu unseren engsten Bezugspersonen gelernt haben, setzt sich später wie ein unbewusstes „Programm“ in unseren Beziehungen fort – und das nicht nur in Paarbeziehungen, sondern auch in Freundschaften oder am Arbeitsplatz.
Unser „Bindungsprogramm“ beeinflusst, wie wir auf Bedürfnisse reagieren und wirkt sich von der Auswahl unserer Partner*innen bis hin zum Verlauf (und Ende) unserer Beziehungen aus. Sich des eigenen Bindungsstils bewusst zu werden, kann dabei helfen, die eigenen Stärken und Schwächen in einer Beziehung zu verstehen und daraus zu lernen. Es lohnt sich daher, es (sowohl im Hinblick auf die eigene Kindheit als auch auf aktuelle Beziehungen) zu reflektieren!
Die 4 Bindungsstile
Basierend auf unseren frühkindlichen Erfahrungen mit unseren Eltern (oder Bezugspersonen) bilden wir theoretisch vier einzigartige Bindungsstile, von unter denen es einen sicheren und 3 unsichere Stile gibt:
- Sichere Bindung (secure attachment)
- Ängstlich-ambivalente Bindung (anxious-ambivalent attachment)
- Gleichgültig-vermeidende Bindung (avoidant-dismissive attachment)
- Ängstlich-vermeidende Bindung (disorganised/ fearful-avoidant attachment)
In der Realität lassen sich die wenigsten Menschen zu 100% einem der Stile zuordnen – viel eher spricht man von Tendenzen, die sich im Laufe des Lebens verändern können (dazu aber später noch mehr)!
Der sichere Bindungsstil
Personen mit sicherem Bindungsstil sind zufrieden mit sich selbst, sozial, warmherzig und emotional verfügbar – sie sind sich ihrer Gefühle bewusst und können sie ausdrücken. Dadurch neigen sie auch dazu, tiefe, glückliche und lang anhaltende Beziehungen aufzubauen. Dies liegt daran, dass diese Menschen in ihrer Kindheit positive Erfahrungen mit ihren Bezugspersonen machen durften (oder negative Erfahrungen erfolgreich aufgearbeitet haben) und gelernt haben, dass Beziehungen Glück & Sicherheit bieten. Etwa 60-70% der Menschen zählen zu diesem Stil.

Eigenschaften von sicher gebundenen Partner*innen:
- Kommunizieren klar, woran du bei ihnen bist / spielen keine Spielchen mit dir
- Können ihre Gefühle offen zeigen & kommunizieren
- Fühlen sich mit Nähe und Verbindlichkeit wohl
- Können sich selbst & Partner*innen gesunden Freiraum gönnen
- Haben ein positives Bild von sich selbst und anderen, sowie von Beziehungen im Allgemeinen
Menschen mit diesem Bindungsstil können unsicher gebundene Partner*innen in ihrem Heilungsprozess gut unterstützen, indem sie ihnen die nötige emotionale Verfügbarkeit und Stabilität bieten. Dabei ist jedoch wichtig, die eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen zu verlieren und nicht die Verantwortung für die Heilung der anderen Person zu übernehmen!
Der ängstlich-ambivalente Bindungsstil
Personen mit ängstlich-ambivalentem Bindungsstil sehnen sich nach Nähe und Bestätigung. Sie sind bereit, sehr viel zu geben um die Zuneigung ihres Gegenübers zu gewinnen und erleben in Beziehungen oft starke Verlustängste. Häufig wurden bei diesen Menschen Bedürfnisse nach emotionaler Beständigkeit in der Kindheit nicht erfüllt, daher haben sie später Angst davor, verlassen zu werden und können mit Distanz nur schlecht umgehen. Etwa 10-15% der Menschen zählen zu diesem Stil.

Eigenschaften von ängstlich-ambivalenten Partner*innen:
- Überspringen im Kennenlernprozess gerne einige Schritte und lassen sich sehr schnell auf eine Beziehung ein
- Suchen viel und häufig Kontakt und werden schnell unsicher, wenn dies nicht erwidert wird
- Tendieren dazu, Verhalten überzuanalysieren & eifersüchtig zu sein
- Versuchen über Sex emotionale Bindung herzustellen
- Scheuen Konfrontationen und stellen ihre Bedürfnisse meist hinten an ("People Pleasing")
- Haben ein negatives Bild von sich selbst und ein positives Bild von anderen
Menschen mit diesem Bindungsstil kann es helfen, negative Erfahrungen aufzuarbeiten und das eigene Selbstwertgefühl zu verbessern. Für sie ist es außerdem sehr wichtig, gut abzuwägen, auf wen sie sich einlassen, da sie häufig an unsicher gebundene Partner*innen geraten, die ihre Unsicherheiten und Verlustängste durch deren Verhalten noch weiter bestärken.
Der gleichgültig-vermeidende Bindungsstil
Personen mit gleichgültig-vermeidendem Bindungsstil haben starke Angst vor Nähe und eine generell negative Erwartungshaltung gegenüber Beziehungen. Sie verbinden Intimität und Beziehungen mit einem Verlust der Unabhängigkeit oder der Invidiualität und räumen gerne viel Platz für sich selbst ein. Um sich zu schützen, betonen sie gerne ihre Unabhängigkeit und weisen andere Menschen, die ihnen emotional zu nahe kommen, vorsorglich von sich aus zurück.

Dieses Verhalten entsteht tendenziell dadurch, dass diese Menschen in ihrer Kindheit emotional vernachlässigt wurden und so lernten, sich selbstständig zu beruhigen und ihre Gefühle zu unterdrücken. Etwa 10-15% der Menschen zählen zu diesem Stil.
Eigenschaften von gleichgültig-vermeidenden Partner*innen:
- Präsentieren sich als übermäßig eigenständig
- Vermeiden emotionale Intimität, ziehen sich bei zu viel Nähe zurück (bis hin zu Ghosting)
- Brauchen in Beziehungen extrem viel Freiraum und fühlen sich schnell eingeengt
- Haben ein positives Bild von sich selbst und ein negatives Bild von anderen, sowie von Beziehungen im Allgemeinen
Ein Tipp für Menschen mit diesem Bindungsstil ist es, Beziehungen langsam anzugehen um Vertrauen aufzubauen, klare Grenzen zu kommunizieren und schrittweise zu üben, mehr Nähe zuzulassen. Vor allem sicher gebundene Partner*innen können das starke Bedürfnis nach Freiraum gut mittragen, ohne mit Klammern oder Verlustängsten zu reagieren.
Der ängstlich-vermeidende Bindungsstil
Personen mit ängstlich-vermeidendem Bindungsstil lassen sich am schwierigsten einordnen. Da sie eine Mischung aus dem ängstlich-ambivalenten und gleichgültig-vermeidenden Bindungsstil sind, schwanken sie zwischen dem Wunsch nach und der Angst vor Nähe. Das macht der Verhalten dieser Menschen für andere schwer nachvollziehbar und unberechenbar.

Diese Tendenz kommt meist daher, dass diese Menschen als Kinder keine einheitliche Bindungsstrategie entwickeln konnten, da die Bezugspersonen als Bedrohung wahrgenommen wurden. Dieses Muster wird später oft in Partnerschaften wiederholt. Nur 5-10% der Menschen zählen zu diesem Stil.
Eigenschaften von ängstlich-vermeidenden Partner*innen:
- Sehr inkonsistentes Verhalten - suchen manchmal viel Nähe und ziehen sich dann wieder zurück
- Haben oft Probleme damit, jemandem zu Vertrauen und sich zu öffnen
- Beenden Beziehung häufig von sich aus (Selbstsabotage)
- Suchen sich oft unbewusst Partner*innen aus, die ihre Angst verstärken
- Haben ein negatives Bild von sich selbst und anderen
Da dieser Bindungsstil meist mit stark negativen Erfahrungen in der Kindheit einhergeht empfiehlt es sich, diese Themen im Rahmen einer Therapie oder psychologischen Beratung mit Unterstützung aufzuarbeiten!
Bindungskompetenz kann man lernen
Niemand ist „Beziehungsunfähig“. Zwar prägen uns die Erfahrungen unserer Kindheit, jedoch wird der Bindungsstil nicht in der Kindheit festgelegt und ist dann für den Rest des Lebens in Stein gemeißelt.
Der eigene Bindungstyp ist nämlich kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern beziehungsspezifisch. Der Bindungsstil spiegelt Verhaltensweisen wider, die immer auch im Kontext der jeweiligen Beziehung zu sehen sind (so kann man zu unterschiedlichen Personen unterschiedliche Arten von Bindung haben). Darüber hinaus hat auch das (Bindungs-)Verhalten unseres Gegenübers einen Einfluss auf unser Bindungsverhalten in dieser Beziehung.
Das bedeutet wiederum, dass der eigene Bindungsstil sich verändern kann – und dazu kann man selbst einiges beitragen! Positive Beziehungserfahrungen können auch über die Kindheit hinaus gesammelt werden und so unseren Bindungsstil nachträglich positiv beeinflussen. Das kann in stabilen zwischenmenschlichen Beziehungen mit einem sicher gebundenen Gegenüber passieren, aber auch im Rahmen einer Therapie oder psychologischen Beratung.
Doch wo anfangen?
Am besten beleuchtest du einmal deine vergangenen (und/oder aktuellen) Beziehungen und schaust, welche typischen Probleme du wahrgenommen hast. Was hat sich wiederholt, was hat dich häufig verletzt, worauf reagierst du besonders stark? Gibt es typische Kernthemen in Beziehungskrisen?
Mit welchem der vier Bindungsstile korrespondiert das am meisten? (Es geht dabei immer nur um eine Tendenz, die über die meisten Beziehungen hinweg ähnlich ist.)
Du kannst auch einen Online Test zum Thema der Bindungsstile machen. Dazu kann ich dir folgende zwei Quellen empfehlen:
Englischsprachiger Test zu den Bindungsstilen (ausführlicher)
Deutschsprachiger Test zu den Bindungsstilen
Weitere praktische Tipps & interessante Inhalte findest du auch auf meinem Instagram-Channel:

Caroline Hehenberger, Msc.
Als Dating- & Beziehungsexpertin helfe ich Menschen dabei, sich selbst und ihre Beziehungen weiterzuentwickeln und so den Dating-Frust endgültig hinter sich zu lassen.
Mit Metadating® habe ich einen Ansatz geschaffen, durch den du auf Basis psychologischer Erkenntnisse gezielt deine Selbstsicherheit steigerst, deine Stärken kennenlernst und deine romantischen Ziele erreichst.
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